18.6.11

rüm hart - klaar kimming.

Müde bin ich. Keine zwölf Stunden ist es nun her, dass ich wieder zurück bin. Von dieser Insel, die ihrem Ruf so gerecht wird, wie man es kaum erahnen kann, und die so schön ist, dass man es sich kaum vorstellen kann.
Ich war spät dran. Also noch schnell aufs Feld einen Salat holen und dann ab auf die Autobahn. Geschätzte sieben Stunden plus ein kurzes Mittagessen in Hamburg mit dem guten Andre lagen vor mir. Wir sehen uns schließlich selten genug. Kurz vor Hamburg dann ein Geräusch, dass mich aus meinen Gedanken, die gerade zwischen Vorfreude und noch immer ein bisschen Skepsis hingen, riss. Ich ahnte es schon und die sehr nett gemeinte Lichthupe hinter mir setzte ein Ausrufezeichen hinter meine Befürchtung. Platt. Hinten links. Noch 1500 Meter bis zum Rastplatz. Gut. Also erst mal Andre anrufen. Kleine Planänderung wegen Mittagessen. Soll ich vorbeikommen, ich hab Werkzeug. Wenn das passt, wäre das super. Irgendwann kam dann auch der nette Mann vom ADAC mit BMW, Werkzeug, schönem Anzug und jeder Menge Freundschaft. Mittagessen in Hamburg war dann nicht mehr, da Andre nun schnell zum nächsten Termin nach Flensburg musste. Die Richtung stimmte und so verbrachte ich noch eine nette Stunde mit auf Andre warten am Sonwik Yachthafen in Flensburg, einem mittelmäßigem Milchkaffee und dem Genuss an der Ostsee zu schnuppern. Das gemeinsame Essen war wirklich schön. Schade, dass wir 600 Kilometer von zuhause weg sein müssen, um das mal wieder haben zu können. Irgendwann fallen wir um und haben uns viel zu lange nicht mehr gesehen. Es folgt der Abschied und es kommt der Autozug. Die Überfahrt ist wirklich schön. Sonne rot. Himmel Gold. Links und rechts Schafe und Galloway- Rinder. Ich freue mich über den Bau einer riesigen Solaranlage neben dem Hindenburgdamm. Gute Sache. Weniger gut: Die vier jungen Männer mit hochgeklappten Polohemdkragen, die mich mit lautstarkem Kirmestechno aus ihrem riesigen SUV verwöhnen. Macht aber nichts. Angekommen dann ein bisschen rumfahren und ein paar Unklarheiten in Sachen Wohnort klären. Schön, dieses Kampen. Dieser berühmte Ort der schön Blöden und Reichen. Reetdächer all over und eine nette Lichtstimmung. Wie schön Dani wieder zu sehen. Auf geht es in die Sturmhaube. Eine Scheibe Lachs mit Obst von der Vorspeisenkarte - 16 Euro. Dafür ein toller Blick in den Sonnenuntergang und lecker. Später fuhren wir dann ins Pub nach Westerland. Nach kurzer Zeit kam dann auch schon Danis Kollegin Andrea, die in ihrer Sprache und ihrem Humor kaum gängmäßiger sein könnte. Verrückt war das. Sehr nett war auch Stefan, Andreas Freund mit gewinnendem Gewinnerlächeln. Endlich normale Leute. Wir machten nicht nur Bekanntschaft mit einer halsbrecherischen Melonenbowle, sondern auch mit einer sehr merkwürdigen Inge, die mal nach Sylt kam, um eine Lehre als Köchin zu machen, diese aber nicht packte und nun hinter der Theke einer Oben-Ohne-Bar arbeitet. Hauptsache Sylt - schätzte ich. Die Zeit flog uns dann Richtung Bett. Der nächste Tag begann mit einem Besuch der Wattseite Kampens. Schöner hätte es nicht sein dürfen. Ich stand da - vor lauter Himmel. Fritz Wichert schrieb einmal: „Hier ist es so schön, dass man nicht weiß, wo man sich lassen soll. Das Wattenmeer ist lieblich blau, der Himmel wie eine irisierende Kuppel aus Kristall.“ Ich habe es gesehen, ich habe die Sonne auf meiner Haut und das Salz auf meinen Lippen gespürt. Ich habe den leichten Wind von der Seeseite im Nacken gehabt. Ich hatte einen guten Freund an meiner Seite und keine Kamera der Welt wäre in der Lage, diesen Vormittag einzufangen. Wir spazierten zur Kupferkanne, einem schönem Cafe - innen wie außen. Der Kuchen war lecker und der Kaffee noch besser. Da Spaß auf Sylt nun mal Geld kostet, waren die nächsten 17 Euro im schwarzen Loch verschwunden. Nun auf zum Campingplatz, die letzten Unklarheiten konnten für immer geklärt werden und Dani wird meine Stornogebühren durch einen Kaffee mit dem Campinglatztyp zahlen müssen. Aua. Ich freute mich, alles geklärt zu haben. Du weißt, was ich meine. Dani zeigte mir ihren schönen Arbeitsplatz. Wie toll es sein muss, jeden Tag durch die Dünen am Roten Kliff zur Arbeit zu gehen, kann ich allenfalls erahnen. Du arbeitest dich in den Sonnenuntergang. Ich gönne es dir. Wir fuhren ins schöne Keitum. Reetdächer auf diesmal weißen Häusern, wirklich schön. Das grüne Vergessen, nannte Max Frisch den Weg entlang der Küste hier. Vor der Kirche saß der Tod selbst, der überraschend da sitzt, sobald man das Kirchengelände betritt. Spooky und einen Besuch wert. Wir suchten die Sansibar. Wie gut es war, sie an diesem Tag nicht zu finden, sollte ich erst am Folgenden begreifen. Wir entschlossen uns für einen Abend bei Dani mit abhängen, leckerem Salat und früh schlafen gehen. Unverhofft kommt bekannter Maßen oft. In diesem Fall in Form von Hilke, die Danis Namen unten vor dem Haus stehend rief, als wir gerade im Begriff waren zu schlafen. Sie kam hoch, um uns spontan zu einer Party an einer Bushalte mitzunehmen. Wir rechneten mit einer kleinen Party, erwarteten nichts und bekamen alles. Die Fahrt war gesäumt von einer netten Plauderei. Hilke ist eine waschechte Friesin, durch und durch und einfach wahnsinnig nett. Es ging eine alte Betonstraße entlang, mitten durch die vom Vollmond beschienenen Dünen. Es wirkte wie die Fahrt zu einem anderen Planeten. Dies sollte sich bewahrheiten. Mitten im Nichts aus Dünen und Dunkelheit standen 300 Leute um eine Bushaltestelle, in die Bambus Klaus vor 25 Jahren eine Theke zimmerte und dort seither im Alleingang tagsüber Kaffee verkauft. Kommt der Bus, werden die Stühle auf Seite geräumt. Bei Vollmond geschieht dann immer das Unglaubliche. Unser Ziel war schnell und viel. Schäpp jet op. Mir drinke op uns zwei. Wir stellten uns ab und redeten über Freunde, Freundschaft, die Zukunft und all den anderen Kram und hatten unsere Freude daran. Ich musste an Düvel von Köster und Hocker denken. Irgendwann wurden wir von einer Stimme unterbrochen, die man leicht mit der Dieter Bohlens hätte verwechseln können. Noch etwas Geduld Leude, es dauert noch 5 Minuuden. Geht gleich lous. Was denn eigentlich, fragten wir uns. Gerade als ich in der Bushaltestelle stand hörte die Musik auf und alle jubelten über mich weg. Es war unfassbar. Bambus Klaus stand plötzlich auf dem Dach und gab ein Konzert seiner Inselhits. Wir lachten Tränen und feierten den Typ total ab, der einmal monatlich eine Party veranstaltet, nur um ein Publikum zu haben, vor dem er singen kann. Der Typ zieht sein Ding mal sowas von durch. Ich habe da größten Respekt vor. Es ging irgendwann zurück. Wir lachten uns in den Schlaf.
Am nächsten Morgen fuhren wir zur Vogelkoje, die schön angelegt ist. Mit Wald und Teich am Meer. Eigentlich handelt es sich um ein Enten- KZ, in dem früher einmal Wildenten gefangen und geschlachtet wurden. Im erfolgreichsten Jahr 25.000. Krasse Sache. Dann schöner Ausblick vom Deich. Müde. Müde war ich. Weiter ging es nach List, Sylts Chorweiler. Gosch sitzt hier. Eine Ansammlung von Designeroutles und einer Art überdimensionierten Nordseerestaurants. Die Gäste, die hier zu hunderten stehen, sitzen , fressen scheinen sich wohl zu fühlen, trotz diverser Unfreundlichkeiten des Personals. Wir haben schnell genug davon und verschwinden. Auf geht es zur Sansibar – DEM Inladen auf Sylt. Ständig sieht man Menschen, die mit Sansibarpolohemden für 120 Euro rum laufen – der Arbeitskleidung des Personals - und sich kein bisschen doof vorkommen. Auf dem Parkplatz der Erste unfreundliche Insulaner in Form eines lebenden Parkscheinautomaten. Mein Auto ist das kleinste hier. Wir entscheiden uns aus Gehirngründen gegen den Shuttlebus, der die Gäste die 200 Meter vom Parkplatz zum Laden auf die Düne fährt. Es ist schlimmer als ich dachte. Planet der Affen. Hauptstadt. Menschen mit 300 Euro Hosen und 150 Euro Polos sitzen auf einer Holztreppe, weil kein Sitzplatz mehr frei ist, essen überteuertes Essen aus einer großen Pommesbude und trinken Wein, der gerne mal ein paar hundert oder 4000 Euro kostet. Mir ist klar, dass die das völlig ernst meinen. Die wollen das so. Die kommen sich dabei nicht doof vor. Die schämen sich nicht. Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Erinnere ich mich aus der Dreigroschenoper. Mir schlägt das alles, gepaart mit einem riesen Haufen Müdigkeit, voll ins Gesicht. Schlechte Laune. So sehr, dass ich irgendwann selbst darüber lachen muss. Wir fahren heim. Erstmal schlafen, dann wieder besser gelaunt sein. Später gemeinsam lesen. Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel. Irgendwann. Für den nächsten Tag ist Regen angesagt. Nichts da. Sonnenschein pur. Ich packe. Dann nach Westerland in einen Strandkorb. Vorher lasse ich mir noch meinen Crêpe von einer Möwe aus der Hand klauen. Fieser Möpp. Hoffentlich hat er dir so gut geschmeckt, wie mir vorher. Sonst wäre es schade drum. Lesen im Strandkorb. Tolle Erfindung. Dann Verabschiedung und auf ein Wiedersehen. Bald. Die Fahrt mit dem Autozug zieht sich diesmal - mit Warten und auf der Strecke stehen bleiben - fast 2 Stunden. Nicht schön. Vom Zug runter. Kreisverkehr. Erste Ausfahrt: „Autobahn“. Zweite Ausfahrt: „Autozug Sylt“. Eine kurze Überlegung. Ein Schmunzeln. Ein Kopfschütteln. Ein Lachen nur für mich selbst. Vor dem Elbtunnel - Natürlich Stau. Dann Bleifuß. Ich will ankommen. Irgendwann ein Anruf von Sabine, die mir die Zeit während der Fahrt vertreiben möchte, was ihr gelingt. Das war ein schönes Gespräch und eine bezaubernde Geste an sich. Demnächst fahren wir gemeinsam und ich freue mich sehr darauf.
Auf der Rückseite eines Buches habe ich gelesen, dass alle Menschen von der schönen Landschaft und dem Meer reden, wenn sie über Sylt sprechen, aber dass das eigentlich faszinierende die Menschen seien. Wer auch immer das sagte, ich glaube das er recht hat. Auf der Friesenflagge steht „rüm hart - klaar kiming“, was weites Herz - klarer Horizont bedeutet. Und nichts könnte passender sein, für die Menschen, die mich durch die letzten Tage begleiteten. Ich werde schon bald wieder kommen. Und ich freue mich schon jetzt wahnsinnig.
Eigentlich wollte ich einen Reisebericht schreiben. Nun möchte ich ein Hohelied schreiben. Auf die Menschen und auf die Freundschaft.